Kyushu – Teil 1
Unsere Reise begann mit einem Besuch bei Freunden. Bei ihnen haben wir die ersten beiden Tage in der Nähe von Fukuoka verbracht. Bei Japanern nach Hause – und auch noch zum Übernachten – eingeladen zu werden, ist schon etwas Besonderes. Dies aber war etwas ganz Außergewöhnliches. Wir wohnten nicht in einer normalen japanischen Wohnung, sondern in einem riesigen, ungefähr 100 Jahre altes Holzhaus im traditionellen Stil mit vielen Zimmern, langen Gängen, Holzfußböden und typischen japanischen Türen und Fenstern. Das bedeutete auch, dass es im Februar eisig kalt war im Haus. Auf dem Weg von unserem – beheizten – Gästezimmer ins – ebenfalls beheizte – Wohnzimmer der Familie haben wir uns Anorak und Schal angezogen, um uns auf dem Weg nicht zu erkälten. Besonders genossen haben wir es auch, im Arbeitszimmer des Hausherrn am Hori-Gotatsu zu sitzen, also dem von unten beheizten, in einer Versenkung stehenden Tisch, der eine große, dicke Decke hat, unter die man seine Beine und möglichst große Teile des Körpers steckt. Dazu noch eine Schale Tee, eine Zeitung oder ein Buch, vielleicht auch der Laptop oder das gemeinsame Gespräch: wunderbar.
Und dabei wurde auch gleich ein Eindruck korrigiert, den ich nach Ankunft in Japan bekam und dem, wenn ich ihn äußerte, vermutlich aus lauter Höflichkeit kein Japaner je widersprach: ich hatte bisher nämlich das Gefühl, dass Japaner und Europäer gewissermaßen gegeneinander verschobene Temperaturempfindungen haben. Während Japaner, ohne mit der Wimper zu zucken, im für uns fast unerträglich heißen Onsen sitzen, mummeln sie sich dick ein, wenn es für unsere Verhältnisse angenehm kühl ist. Hier habe ich gelernt, dass dieser Eindruck trügt. Auch wirklich kalte Häuser, Tempel und Schreine betritt man natürlich ohne Schuhe, und nach kurzer Zeit bekommt man im Winter dabei eisige Füße. Da hilft es dann natürlich, wenn man sich obenrum warm einpackt, und das hat mit Kälteempfindlichkeit gar nichts zu tun. Und wenn man aus dem heißen Onsen kommt, kann einem die Kälte eine ganze Weile auch nichts anhaben.
Und noch etwas: wir Deutsche wundern uns darüber, dass japanische Häuser so schlecht isoliert sind und scheinbar viel Energie verschwendet wird. In Japan dringt aber gar nicht so viel Wärme nach draußen, weil die Zimmer nicht durchgehend beheizt werden. Man geht eben dorthin, wo es warm ist oder zieht sich entsprechend dick an. In diesem Zusammenhang bekommt natürlich auch der beheizte Toilettensitz eine ganz andere Bedeutung.
Die Vorfahren des Hausherrn waren als Industrielle vermögend geworden. Wie schön, dass die Familie nicht nur das Haus in seiner ursprünglichen Form erhalten hat, sondern uns an diesem traditionellen Lebensstil teilnehmen ließ. Und bei den Gesprächen beim Abendessen und beim Frühstück haben wir viel gelernt über japanische Traditionen, über den Lebensstil, auch über die Politik, und wir fühlen uns jetzt noch ein bisschen mehr zuhause in diesem wunderbaren Land.
Unsere Gastgeber haben sich eine Menge Zeit für uns genommen und uns manches gezeigt, was wir ohne sie nie gesehen hätten, vor allem auch kleine, familiengeführte Restaurants, in denen wir nicht nur von der Köstlichkeit der Speisen beeindruckt, sondern genauso von der Herzlichkeit der Gastwirtinnen berührt waren.
Der erste Besuch führte uns nach Dazaifu zum Tenmangu-Schrein, einem von tausenden in Japan, die alle dem großen Dichter und Gelehrten Sugarawara no Michizane gewidmet sind, der vor weit mehr als tausend Jahren lebte und heute im Shintoismus als Gott des Lernens verehrt wird. Eines seiner berühmtesten Gedichte, die er im übrigen auf Chinesisch und Japanisch schrieb, richtete sich an einen Pflaumenbaum in Kyoto, das er schrieb, als er im Streit mit dem Fujiwara-Clan gezwungen wurde, Kyoto zu verlassen, und befürchtete, seinen Lieblingsbaum nie wieder zu sehen. Die Sage weiß zu berichten, dass der Baum über das Gedicht so gerührt war, dass er Michizane nach Dazaifu hinterherflog und deshalb heute der „fliegende Pflaumenbaum“ (Tobi-ume) genannt wird. Deswegen und weil Michizane in Daizafu begraben ist, ist der hiesige Schrein neben dem in Kyoto der wichtigste aller Tenmangu-Schreine in Japan. Angeblich ist Tobi-ume immer der erste Pflaumenbaum in Japan, der anfängt zu blühen. Und siehe da: obwohl erst Anfang Februar, stand er schon fast in voller Blüte.
Wunderbar war auch der Besuch in Koishiwara, wo seit dem 16. Jahrhundert – aus Korea kommend – Keramik in traditionellen Brennereien produziert wird. Auch der Gründer unserer geliebten Töpferei in Muchelney in Südwestengland, Bernard Leach hat Anfang des 20. Jahrhunderts mehrere Jahre in Japan gelebt und ist auf vielen Reisen immer wieder auch hierher gekommen. Dabei hat er sich nicht nur von den hiesigen Künstlern inspirieren lassen, sondern auch eine ganze Reihe von Japanern ausgebildet.
Unsere Freunde führten uns in das Haus der Töpfer-Dynastie Takatori Hassen, einen Betrieb, der heute von der 13., 14. und 15. Generation geführt wird. Alle drei Generationen, Großvater, Vater und Sohn, begrüßten uns mit grünem Tee und japanischen Süßigkeiten und erlaubt uns auch, je einen Teller und eine Schale zu bemalen. Teeschalen von Takatori Hassen XIII, also dem Großvater, haben auf Auktionen von Christie’s schon Preise von 1.000 – 2.000 Dollar erzielt – das haben wir aber erst hinterher erfahren. Auch ohne dieses Wissen waren wir fasziniert von den Formen, Farben und vor allem von der Feinheit der Keramik und der Glasuren, so dass wir viel mehr kauften, als wir eigentlich vorhatten und mitnehmen konnten. Bei unserer Rückkehr warteten die Einkäufe, wunderbar verpackt und sicher verschickt, bereits auf uns, und wir freuen uns täglich daran. Jetzt sind wir gespannt auf das Ergebnis unserer eigenen künstlerischen Versuche, die uns nach dem Brennen zugeschickt werden.